Über das praktische Jahr und Tipps für alle StudentInnen

16/02/2022 | Janna Scharfenberg | KATEGORIEN: Alle, Mindset, Vision

"Mal ist man frisch examinierte/ StudentIn, mal vollwertiges Mitglied des ärztlichen Kollegiums,.." 

Das praktische Jahr kann eine ganz schöne Herausforderung sein, wie Charlotte Tverstedt in ihrem Buch "PJ-Logbuch" so schön schreibt, steht man zum einen noch als frisch examinierte/r StudentIn da, zum anderen ist man vollwertiges Mitglied des ärztlichen Kollegiums und im nächsten Moment bist du eine billige Arbeitskraft. 

Wir bekommen meist wenig Hilfestellung und geraten so schnell in Überforderung und Frust, weil wir uns das praktische Jahr ganz anders vorgestellt haben. 

Charlotte hat sich in ihrem Buch genau dieser Problematik gewidmet und möchte PJ'lernInnen das Leben vereinfachen, wir finden die Idee toll und möchten gerne einige Ausschnitte aus ihrem Buch mit dir teilen. 
Denn vielleicht stehst du gerade genau an diesem Punkt deines Studiums und freust dich über echte Pro-Tipps. 


PJ-Logbuch Leseprobe

Vorwort 

Wir befinden uns in einer deutschen Kleinstadt des 21. Jahr- hunderts. Ich absolviere gerade das erste Tertial meines Prak- tischen Jahres im Bereich der Inneren Medizin und drehe mich in einem steten emotionalen Karussell aus Begeisterung, Frustration, Motivation, Selbstzweifel, Lernwille, kreisenden Ge- danken, Zukunfts- und Versagensängsten, Freude, Müdigkeit, Erfolgserlebnissen und Verwirrung.


Alles begann, als ich mich – zugegebenermaßen zunächst just for fun – auf das Casting-Gesuch eines deutschen Privatfern- sehsenders hin bewarb und es tatsächlich bis in die Endaus- wahl schaffte. Die Produzentin plante, PJ-Studierende wäh- rend ihres gesamten Praktischen Jahres zu begleiten, um ei- nem größeren Personenkreis Einblicke in die ärztliche Ausbil- dung zu verschaffen. Aus verschiedenen Gründen verlief sich das Projekt jedoch im Sande. Dennoch ließ mich der Gedanke nicht mehr los, meine Erlebnisse und Gedanken festzuhalten und mit anderen zu teilen.


Ich möchte mich mit diesem Buch in erster Linie an Medizin- studierende wenden, denen ihr PJ noch bevorsteht oder die sich schon mittendrin befinden. Ihr seid mit dem alltäglichen Wahnsinn nicht allein und werdet euch sicherlich an vielen Stellen dieses Buches in der einen oder anderen Form wieder- erkennen. Denn als PJler*in befindet man sich in einem merk- würdigen Transzendenzstadium: Mal ist man der oder die frisch examinierte Student*in, der oder die im Weg steht und dem oder der nichts zugetraut wird, im nächsten Moment wird einem als vollwertigem Mitglied des ärztlichen Kollegiums eigenverantwortliches Handeln abverlangt – und dann ist man wieder die austauschbare Billig-Arbeitskraft, die zum Blutabnehmen oder Hakenhalten „abgerufen“ wird.


Mit meinem Erfahrungsbericht hoffe ich, euch Tipps und Rat- schläge an die Hand geben zu können, mit Hilfe derer ihr eure PJ-Zeit auf die für euch bestmögliche Art und Weise gestalten könnt. Ich persönlich habe viele unausgesprochene Überein- künfte, Regeln und Abläufe des Klinikalltages erst nach meh- reren Wochen meines PJs verstanden. Was sind meine Aufga- ben? Wo stehe ich, was darf ich, wann kann ich mich einmi- schen, wann halte ich meinen Mund? Was muss, was soll und was kann ich lernen? Wie entwickele ich mich selbst weiter und bin ich mit meinem Fortschritt zufrieden? Was passiert, wenn ich Fehler mache? Wie gehe ich mit schwierigen Situati- onen im Kontakt zu Patient*innen oder Kolleg*innen um und was kann ich an diesen ändern?


Mithilfe von Pro-Tipps, welche ich im Laufe meines PJs mit zunehmendem Verständnis der Klinik-„Gesetzmäßigkeiten“ rückblickend meinen Erzählungen hinzugefügt habe, möchte ich all diese Fragen anhand meiner Erlebnisse für euch aufarbeiten.


Selbstverständlich habe ich in meinem PJ viele positive Erfahrungen gesammelt. Da ich aber vorrangig auf den Umgang mit herausfordernden Alltagsproblemstellungen eingehen möchte, liegt mein Erzählfokus auf entsprechend „schwieri- gen“ Geschehnissen. Das bedeutet im Umkehrschluss natür- lich nicht, dass ihr euch auf eine vergleichbare Menge an Kom- plikationen gefasst machen müsst – ganz im Gegenteil: Ich möchte euch dazu ermuntern, möglichst unvoreingenommen und positiv in euer PJ zu starten. Dieses Buch soll euch nicht abschrecken, sondern euch das nötige Werkzeug an die Hand geben, damit ihr euch für den Umgang mit „blöden“ Situatio- nen gewappnet fühlt. Ich möchte euch ein Gefühl dafür vermitteln, dass Unsicherheiten und Zweifel menschlich sind und dass wir alle mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so wirken mag. Traut euch, aufeinander zuzugehen, euch auszu- tauschen und Probleme zu thematisieren.


Grundsätzlich bilden meine Erzählungen durchschnittliche Er- fahrungswerte ab. Mein PJ war weder besonders toll noch besonders schlecht. Um euch dennoch möglichst repräsentative Eindrücke zu vermitteln, habe ich an vielen Stellen Berichte befreundeter Kommiliton*innen miteinfließen lassen.


Natürlich obliegt es am Ende jedem und jeder von uns selbst, sich in seiner oder ihrer Rolle als PJler*in im Klinikalltag zu- rechtzufinden. Viele Dinge versteht und verinnerlicht man erst durch eigene Erlebnisse. Trotzdem hoffe ich, dass dieses Buch dem einen oder der anderen als orientierender Leitfa- den dienen mag – denn ungeachtet aller Hürden, Sorgen und Ängste wird jede*r von uns am Ende seinen oder ihren Weg finden und gehen.


Darüber hinaus würde ich mich freuen, wenn möglichst viele

von euch nach ihrer Approbation ihren eigenen Teil dazu bei-

tragen würden, dem Mediziner*innennachwuchs ein PJ mit

Mehrwert zu verschaffen. Denn wenn wir uns dafür sensibilisieren, welche Ausbildung wir uns im Praktischen Jahr wünschen, können wir selbst durch Weitergabe unserer Werte und Strukturen eine nachhaltig verbesserte PJ-Kultur schaffen, ohne auf langwierige Änderungen des PJ-Curriculums warten

zu müssen.


Die geschilderten Geschehnisse veranschaulichen meine viel- fältigen Erfahrungen während meines Praktischen Jahres. Zwecks Einhaltung von Datenschutz und Schweigepflicht habe ich selbstverständlich insofern von einer wahrheitsge- treuen Darstellung der Erlebnisse abgesehen, als dass alle Zeit-, Orts- und Personenangaben abgeändert und anonymi- siert worden sind.

Ich möchte an dieser Stelle außerdem explizit darauf hinwei- sen, dass ausgeübte Kritik in keinster Weise dazu dienen soll, das Verhalten einzelner Personen zu beanstanden. Vielmehr möchte ich durch eine umfangreiche Abbildung verschiedens- ter Ereignisse einen weitreichenden Einblick in das deutsche ärztliche Ausbildungssystem ermöglichen.


Falls ihr Anmerkungen, Kritik, Verbesserungsvorschläge oder anderweitige Anliegen äußern möchtet, schreibt mir doch gerne unter charlotte.tverstedt@web.de. Ich freue mich über jegliche Form der Rückmeldung und bin mir sicher, dass potenzielle Folgeauflagen von euren Meinungen und Gedan- ken sehr profitieren werden.

Kapitel 1


Der schreckliche Anfang Tag 0

Ich beginne mein Praktisches Jahr an einem trüben Montag- morgen im November. Das Klinikum meiner Wahl liegt am Rande einer deutschen Kleinstadt und streitet sich mit dem Himmel darüber, wer denn nun die intensivere graue Farbe und Trostlosigkeit ausstrahlen kann. Es handelt sich um ein winziges, universitäres Lehrkrankenhaus, für das ich mich aufgrund der Nähe zu meiner Heimatstadt und der vom Haus gewährleisteten Aufwandsentschädigung entschieden habe. Ich bin aufgeregt, habe wie immer vor einem neuen Abschnitt viel zu wenig geschlafen und habe keine Ahnung, was mich erwartet. Der heutige Tag soll für uns frisch examinierte PJ- Beginner*innen als Einführungsveranstaltung dienen.


Nun geht es also endlich los mit dem Ausbildungsteil, den sich die meisten Medizinstudent*innen während der verschulten Kli- niksemester sehnlichst herbeiwünschen. Die Bücher werden gegen Kittel und Stethoskop eingetauscht, das theoretische Ballastwissen über Bord geworfen. Das klinische Arbeiten be- ginnt.

Mit einem Stapel von Einführungsunterlagen mache mich auf den Weg durch das Kliniklabyrinth zu einem Konferenzraum, in dem bereits eine Handvoll zukünftiger Mitstreiter*innen wartet. Zögerlich suche ich mir einen Platz und blicke mich um: Keiner rührt den bereitstehenden Kaffee an, niemand sagt etwas. Ich erkenne einige Gesichter wieder, man nickt sich zu. Wirklich kennen tue ich allerdings niemanden, denn ich habe


während des Studiums mehrere Semester mit meiner Doktorarbeit sowie mit einem Auslandssemester verbracht. Daher befinden sich die meisten meiner Uni-Freund*innen nicht mehr am gleichen Ausbildungspunkt wie ich. Ich habe mich zwar längst daran gewöhnt, auf mich allein gestellt zu sein, aber in diesem Moment hätte ich nichts dagegen, den kom- menden Studienabschnitt mit ein paar guten Freund*innen zusammen anzutreten. Trotz großer Vorfreude habe ich im- mensen Respekt vor dem mir bevorstehenden Jahr. Was wird in den nächsten Wochen auf mich zukommen? Nach Monaten des Lernens für das zweite Staatsexamen habe ich das Gefühl, alle meine praktischen Fertigkeiten verloren zu haben.


Um Punkt halb neun ist Anpfiff und mein Praktisches Jahr be- ginnt – *Trommelwirbel* – mit einer Hygienebelehrung. Wir erhalten einen Zettelstapel, der das, was uns im Folgenden er- klärt wird, offenbar zusammenfasst und dessen schiere Höhe mir jegliche Lust nimmt, mich weiter damit auseinanderzuset- zen.

In der nächsten Stunde beobachte ich mit mildem Interesse, wie sich eine engagierte Hygienefachbeauftragte mit einer Engelsgeduld Schutzkittel, -masken und Handschuhe an- und auszieht, sich die Hände desinfiziert und dabei umfangreiche Erklärungen von sich gibt.


Ich bin etwas irritiert, denn Schutzkittel und Handschuhe ziehen wir uns alle spätestens seit dem ersten klinischen Semester jeden zweiten Tag an und aus, und bisher ist noch nie jemand auf die Idee gekommen, zu erklären, wie das geht. Generell ist mir bei allen praktischen Aufenthalten selten ärztliches Personal begegnet, das Zeit für Anleitungen gehabt hätte; vielmehr ist grundsätzlich davon ausgegangen worden, dass ich mir sämtliche praktischen Fertigkeiten im bisherigen Studium bereits selbst angeeignet hätte.


Ich erinnere mich beispielsweise noch gut an meine erste periphere Venenverweilkanüle (VVK), die ich in meiner ersten Famulatur morgens um 8 Uhr als Antrittshandlung legen sollte. Eine Einweisung in den Ablauf, die in diesem Klinikum genutzten Materialien oder die zu versorgende Patientin hatte ich vorher nicht erhalten. Erst auf mehrmalige Nachfrage erklärte sich die zuständige Stationsärztin bereit, mir in Ruhe einmal alles zu zeigen. Vorher hatte ich nur ein einziges Mal in einem Untersuchungskurs eine VVK bei einem Kommilitonen mit unverfehlbaren Ofenrohr-Venen gelegt – damals hatte ich ein Blutbad veranstaltet, weil ich bei noch am Arm festge- zurrten Stauschlauch die Nadel rausgezogen hatte, ohne vor-her einen passenden Verschluss für den Zugang bereit gelegt zu haben. Ein entsprechend mulmiges Gefühl beschlich mich in jener ersten Famulatur also bei der Vorstellung, das gleiche Unterfangen auf mich alleingestellt an einer „echten“ Patientin auszuüben. Nach der auf mein Drängen jedoch tatsächlich erfolgten Einweisung funktionierte das Legen der Viggo zwar erstaunlich gut; da es für die Patientin aber nur einen Flurstuhl gab, lief versehentlich Blut auf ihre sündhafte teure Handtasche, sodass mein Erfolgserlebnis in ihrem lautstarken Gezeter unterging. Natürlich fühlte sich für vollgeblutete Ta- schen niemand zuständig, und so versuchte ich hilflos, die aufgebrachte Patientin zu beruhigen.


Also komme ich mir am Tag der PJ-Einführung vier Jahre später, als mir im 11. Fachsemester jemand erklären möchte, wie man Schutzkittel anlegt, grenzwertig veralbert vor.
Der interaktive Part, ergo Kittel und Handschuhe an- und aus- ziehen, fällt weg, da Material gespart werden muss – wir dür- fen uns als Entschädigung dafür aber alle einmal die Hände desinfizieren.


Warum berichte ich so ausführlich von diesem absolut unspektakulären Einführungstag? Weil es sich mir durch mein gesamtes PJ hindurch nicht erschließt, warum bei jeder einzelnen Tertial-Einführungsveranstaltung ausschließlich organisatorische Aspekte abgehandelt werden. Natürlich ist es wichtig, diese formellen Rahmenbedingungen zu thematisieren. Aber wären jene erstmaligen Zusammentreffen nicht eigentlich auch die perfekte Gelegenheit zu besprechen, wie die universitär vorgegebenen Tertial-Ziele aussehen, was die Studierenden von ihrem klinischen Praktikum erwarten und inwiefern diese beiden Aspekte miteinander vereinbar sind? Wäre es nicht sinnvoll, im Zuge dieser Tage klar zu definieren, welche Aufgaben man als PJler*in hat und wie groß die jeweiligen Anteile von „Lehrzeit“ und „Arbeitszeit“ ausfallen sollen? Wäre es nicht ebenfalls eine Maßnahme, an Einführungstagen praxisrelevantes Wissen zu vermitteln, wie zum Beispiel die Befundung von verschiedenen Röntgen-Aufnahmen, Grundlagen der Abdomen-Sonographie oder wie man sich im OP korrekt verhält? Warum „verschwendet“ man die Zeit mit um- fangreichsten Hygiene- und Software-Einweisungen, von de- nen in diesem Ausmaß niemand einen Mehrwert hat, anstatt uns auf die Anforderungen des Tertials vorzubereiten?


Pro-Tipp No 2: Ihr nehmt von den stundenlangen Einfüh- rungsveranstaltungen kaum etwas mit und stellt nach ein paar Wochen in der Praxis fest, dass ihr von dem am Ein- führungstag Gelernten nichts gebrauchen könnt?

Dann macht es anders als ich: Schluckt euren Unmut nicht einfach herunter (oder lasst euch später in einem Buch dar- über aus), sondern nehmt die Dinge selbst in die Hand und führt ein Gespräch mit den PJ-Beauftragten. Gebt ihnen ehrliche Rückmeldung darüber, was euch gefehlt hat und was euren Nachfolger*innen helfen würde.


Mehr Infos 



Wenn du gerne mehr Infos zu dem Thema hättest, dann findest du das Buch unter folgendem Link: 
https://www.bod.de/buchshop/pj-logbuch-charlotte-tverstedt-9783755713319 

Wir wünschen dir ganz viel Freude in deiner PJ-Zeit 
(Mit diesen Tipps, bist du sicherlich bestens vorbereitet ;))

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